Ein Gruß zur Osterzeit 2021
„Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?" (Lk 24,5b)
Eine österliche Irritation
Liebe Freundinnen und Freunde des KAV Salzburg,
als ich vor einigen Jahren bei einer Lateinamerikareise im Haus eines Ordens übernachtete und bei dieser Gelegenheit auch die Hauskapelle besuchte, war ich überrascht: ¿Por que buscas entre los muertos al que vive? „Warum suchst du den, der lebt, bei den Toten?“, stand in großen Lettern auf der weißen Wand hinter dem Altar. Kein Bild, keine Statue, nicht einmal eine Verzierung. Nur diese Frage.
Eine solche Gestaltung einer Altarwand war mir noch nicht begegnet; die Frage beschäftigte mich und ließ mich so schnell nicht mehr los – seit damals ging mir diese Frage immer wieder durch den Kopf: meine Vorstellungen von Kirche, meine Erwartungen an mich und andere, mein theologisches Denken, die Gestaltung meines Glaubenslebens, meine Gebete, mein Beitrag zur Verkündigung … Orientiere ich mich an dem, was war – wie die Frauen, die mit bester Absicht und großer Aufmerksamkeit in die Grabeshöhle gegangen waren, um einen Leichnam zu pflegen? Versuche ich aufrechtzuerhalten, was nicht mehr zu retten ist? Schaue ich ins Dunkel statt ins Licht? Ist mir das, was ich mit Sicherheit weiß und tun kann, wichtiger als das Loslassen, das Überrascht-Werden, das Bewegt-Werden? Suche ich Jesus in der Gruft des Karfreitags, wo ich wenigstens ein Grablicht abstellen kann – oder lasse ich mich vom Licht einer Zumutung anstrahlen, die meine Vorstellungen über den Haufen wirft? Lasse ich mich wie die Frauen von den Lichtgestalten aus der Grabeshöhle hinausschicken – um nicht zu sagen: hinauswerfen –, um wieder auf dem Weg zu sein, das Suchen nicht aufzugeben, mich auf Neuland zu begeben? Wenig später wird der Evangelist Lukas jene, die Jesus bei den Lebenden und nicht bei den Toten suchen, als „Anhänger des neuen Weges“ (Apg 9,2) bezeichnen. Diese „Leute des neuen Weges“ verfassen keine Nachrufe, sondern erzählen die Geschichte von einem Lebenden (vgl. den eindrücklichen Buchtitel von Edward Schillebeeckx); sie jammern nicht ihren zerbrochenen Vorstellungen nach, sondern lassen sich in österlicher Courage auf die Gegenwart und Zukunft ein; sie fragen nicht: „Was hätte Jesus getan?“, sondern erfahren ihn als Gegenwärtigen.
Eigentlich, so dachte ich mir, sollte ich mir diese Frage, die in unverblümter Deutlichkeit auf einer Altarwand stand, jeden Tag stellen: „Warum suchst du den, der lebt, bei den Toten?“ Gerade in diesen schwierigen Zeiten will ich von dieser störrischen, irritierenden, ja frechen Frage nicht lassen.
Franz Gmainer-Pranzl
Geistlicher Assistent des KAV